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Lebenserwartung

"Optimismus und Humor verlängern das Leben» (NZZ am Sonntag, 31.8.14)

NZZ am Sonntag: Herr Vaupel, stimmt es, dass Sie dafür kämpfen mussten, nicht selbst in Rente geschickt zu werden?

James Vaupel: Kämpfen ist ein grosses Wort. Aber die meisten Professoren gehen in der Tat schon mit 65 in Pension. Ich brauchte eine Spezialbewilligung, um in Rostock bis 72 Direktor bleiben zu dürfen. In Dänemark hingegen, wo ich auch ein Max-Planck-Institut leite, darf jeder so lange als Professor arbeiten, wie er will. Ist er nicht mehr fit genug, kann ihn der Dekan entlassen. Das erscheint mir schlauer.

Ihr Institut verfügt über eine riesige Datensammlung zur Lebenserwartung weltweit. Unsere Vermutung: Je reicher ein Land ist, desto später stirbt man dort.

Das stimmt tendenziell, aber nicht ganz. Die höchste Lebenserwartung haben derzeit die japanischen Frauen: gut 86 Jahre. Und Japan ist bekanntlich nicht so reich wie etwa die Schweiz.

Lag Japan schon immer vorne?

Nein. 1840 schnitten noch die schwedischen Frauen am besten ab, 45 Jahre betrug deren durchschnittliche Lebenserwartung damals. Später übernahm Norwegen die Führung, dann lag Neuseeland vorn, erneut Schweden und schliesslich Japan. Lauter reiche Länder. Noch typischer ist jedoch: In Ländern mit hoher Lebenserwartung werden die meisten Menschen etwa gleich alt.

Warum?

Da sind noch sehr viele Fragen offen. Manche Experten vermuten, dass der häufige Konsum von Fisch – wie er besonders unter den Menschen in Japan und Skandinavien üblich ist – generell ein langes Leben begünstigt. Doch Belege dafür gibt es bisher noch nicht. Wahrscheinlich sind gut ausgebaute Sozialsysteme sowie die Bereitschaft der Leute, einander gegenseitig zu helfen, die entscheidenden Faktoren. Diese beiden Punkte treffen allerdings auch zum Beispiel auf die Schweiz und Deutschland zu, wo die Menschen nicht ganz so alt werden.

Es gibt den alten Streit zwischen Wissenschaftern: Sind es genetische Faktoren oder Umwelteinflüsse, die den Lebensweg entscheidend prägen?

Bei der Lebenserwartung ist die Sache inzwischen klar: Die Gene spielen nur eine untergeordnete Rolle. Breit angelegte Studien mit Zwillingen kamen zum gleichen Ergebnis: Der genetische Einfluss beträgt rund 25 Prozent. Anders gesagt: Drei Viertel haben mit den Genen nichts zu tun! Am stärksten wirkt sich die gegenwärtige Lebenssituation aus: Sorgt eine Person jetzt gut für sich? Hat sie einen Arzt oder ein Krankenhaus in unmittelbarer Nähe?

Sie haben viele Menschen, die über 100 Jahre alt sind, persönlich getroffen: Was verbindet diese Methusalems?

Meist sind es Frauen – je nach Nation bis zu zehnmal mehr als Männer. Verblüffend ist, wie verschieden diese Menschen sind: Einige ernähren sich vegetarisch, andere essen vorwiegend Fleisch. Einige sind verheiratet, andere leben allein; einige haben Kinder, andere nicht. Grossgewachsene, Kleine, Arme, Reiche – da ist alles dabei. Einige rauchen sogar. Kettenraucher sind unter den Methusalems allerdings enorm selten. Und die meisten über Hundertjährigen haben nie geraucht. Kleine Mengen Alkohol scheinen hingegen für ein langes Leben förderlich zu sein. Lebensfreude, Optimismus und Humor haben einen starken positiven Einfluss auf die Lebenserwartung. Aber selbst da gibt es Ausnahmen: Ich erinnere mich an eine 111-jährige Dänin, die seit vielen Jahren darauf hoffte, endlich sterben zu dürfen. Sie war früh verwitwet, einsam und unglücklich. Sie litt an Tuberkulose und Brustkrebs – und überlebte alles.

Werden wir künftig noch älter werden?

Mit Sicherheit. Seit 1840 steigt die Lebenserwartung in Europa konstant und gleichförmig an. Um rund drei Monate nimmt sie jedes Jahr zu: Die meisten der im Jahr 2000 in Mitteleuropa geborenen Kinder werden ihren 100. Geburtstag feiern. Und von den Kindern, die 2014 in der Schweiz zur Welt kommen, würde ich schätzen, werden mehr als die Hälfte 106 Jahre alt.

Unglaublich!

Man kann es auch so sagen: Jedes Jahr, das du später geboren wirst, erhöht deine Lebenserwartung um mehrere Monate. Viele Frauen fühlen sich schlecht, wenn sie erst in reiferem Alter Kinder bekommen. Dabei tun sie dem Nachwuchs damit zumindest bezüglich der Lebenserwartung Gutes. Jedes Jahr, das eine Frau später schwanger wird, schenkt ihrem Kind – statistisch gesehen – zwölf zusätzliche Wochen.

Manche Resultate aus der Demografie-Forschung wirken belustigend: Wer im Herbst geboren wird, soll länger leben, als wer im Frühling das Licht der Welt erblickt.

Diesen Einfluss gibt es in der Tat. Es ist kein riesiger Effekt, er macht nur einige Monate aus – aber immerhin.

Lässt sich das erklären?

Anfangs spekulierten wir, dass reichere Eltern ihre Kinder eher im Herbst bekommen. Das scheint nicht zu stimmen. Bei Kindern, die im Herbst geboren wurden, können die Mütter während der letzten sechs Monate der Schwangerschaft jedoch viel frisches Gemüse und Früchte essen. Die Mütter der «Frühlingsbabys» ernähren sich in den entscheidenden Monaten meist weniger gesund. Meine Kollegen untersuchten das vor allem an Kindern, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts zur Welt kamen, als die Lebensbedingungen härter waren. Heute ist der Effekt schwächer.

Gibt es auch eine ideale Körpergrösse für die Lebenserwartung?

Wer etwas grösser als der Durchschnitt ist, lebt in der Regel auch etwas länger als die Mehrheit. Ab einer gewissen Grösse sinkt die Lebenserwartung allerdings wieder. Bei norwegischen Männern etwa erwies sich eine Körpergrösse von 195 Zentimetern als ideal für eine hohe Lebenserwartung.

In der «Frankfurter Allgemeinen» sagten Sie kürzlich, dass die Medizin für Hochbetagte gar nicht so teuer sei, wie häufig behauptet wird.

Richtig. Die wirklich Alten sterben am Ende häufig an Herzinfarkt, Grippe oder einem Schlaganfall. Also an Dingen, deren Bekämpfung lange nicht so teuer ist wie etwa die von Krebs. Und die Häufigkeit vieler Tumorerkrankungen nimmt bereits ab dem 75. Altersjahr wieder ab.

Stimmt es, dass in sehr hohem Alter das Risiko zu sterben wieder sinkt?

Ab dem 30. Altersjahr steigt dieses Risiko sehr langsam, aber kontinuierlich an. Das Verblüffende: In einem sehr hohen Alter, mit 110 Jahren, wird es plötzlich nicht mehr höher. Die Wahrscheinlichkeit zu sterben sinkt zwar nicht – aber sie bleibt konstant.

Wie ist das möglich?

Nur sehr robuste Menschen erreichen ein so hohes Alter. Und die sind offensichtlich so widerstandsfähig, dass viele von ihnen noch gut weiterleben können.

Altern diese Methusalems nicht mehr?

Doch. Trifft man sie ein Jahr später wieder, so sind sie offensichtlich älter geworden. Aber viele sterben trotzdem nicht.

Träumen Sie davon, in ferner Zukunft selbst Ihren 112. Geburtstag zu feiern?

Hm. Der irische Schriftsteller Jonathan Swift hat einmal so schön gesagt: «Jeder will lange leben – und keiner alt sein.» So geht es mir auch.


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