Der Traum vom Fliegen (Planet Wissen)
1891 gelingen Otto Lilienthal die ersten Gleitflüge der Geschichte. Der Maschinenbauingenieur hat sich die Ideen für seine Flugapparate in der Natur geholt.
In seinem Buch "Der Vogelflug als Grundlage der Fliegekunst" schreibt er: "Dass wir uns die Vögel zum Musternehmen müssen, wenn wir das aktive Fliegen für den Menschen erfinden, dieses geht aus den bisher angeführten Versuchsresultaten eigentlich ohne weiteres hervor".
Der Traum vom Fliegen
Otto Lilienthal (1848 bis 1896) näherte sich seinem Traum vom Fliegen mit der Gründlichkeit des Ingenieurs. Bevorzugte Beobachtungsobjekte waren Möwen und Störche. Besondere Aufmerksamkeit schenkte er dem Aufbau der Flügel. Am Körperansatz sind diese schwer, bewegen sich wenig, besitzen aber dort ihre höchste Tragfähigkeit. Zu den Flügelenden nimmt gleichzeitig die Bewegung zu und das Gewicht ab. Anders als manch verwegener Draufgänger erkannte Lilienthal aber, dass mit Muskelkraft und nachgeahmtem Vogelflug kein Blumentopf zu gewinnen war, denn ein Geheimnis der bisweilen majestätisch anmutenden Akrobaten der Lüfte ist ihr Gewicht. Vogelknochen sind viel leichter gebaut als die Knochen des Menschen. Der bräuchte, um überhaupt abheben zu können, eine gewaltige Flügelspannweite und enorme Muskeln. Alle Versuche, es den Vögeln gleichzutun, waren daher zum Scheitern verurteilt.
Aerodynamik
Stare kann man darauf trainieren, dass sie im Windkanal gegen einen Luftstrom fliegen, den man mit Rauchfahnen sichtbar macht. Dabei zeigt sich zweierlei: Stare sind absolute Flugkünstler, die auch Luftturbulenzen locker meistern können. Die Rauchfahnen machen außerdem deutlich, dass der Vogel eine extrem strömungsgünstige Körperform hat. So bietet er dem Wind kaum Widerstand – er besitzt eine gute Aerodynamik. Beobachtet man den menschlichen Körper im Windkanal, gestreckt in der Horizontalen, sieht man sofort, dass sich überall kleine Luftwirbel bilden. Der Mensch besitzt also keine gute Aerodynamik. Das alles führte auch Otto Lilienthal zu der Überzeugung, dass der Mensch zum Fliegen einen Flugapparat braucht. Den Menschen selbst muss man, so gut es geht, im Inneren eines Flugkörpers "verstecken", damit er das Fliegen nicht stört.
Fliegen wie ein Vogel Flügel – das Geheimnis der Form
Seine jahrelangen Forschungen und physikalischen Untersuchungen fasste Lilienthal in einer Kurzformel zusammen: "Alles Fliegen ist Erzeugen von Luftwiderstand, alle Flugarbeit ist Überwinden von Luftwiderstand." Was den Auftrieb beim Fliegen angeht, lag es nahe, für seine Flugapparate eine gewölbte Flügelform zu wählen – wieder ganz nach dem Vorbild der Natur. Doch der Wissenschaftler Lilienthal wollte es genau wissen. Als Erster zerlegte er die Luftkraft (Luftkraftresultierende) in ihre hebende (Auftrieb) und ihre hemmende (Widerstand) Komponente. Dabei zeigten sich für beide Komponenten klare Vorteile der gewölbten gegenüber einer ebenen Fläche.
Der Flug der Insekten
Bei aller Bewunderung für unsere Lehrmeister in der Fliegerei vergisst man gerne, dass Insekten schon lange vor den Vögeln durch die Urwelt surrten. Insekten sind filigrane und virtuose Flieger, zum Beispiel wenn sie im Flug mit ihrem langen Rüssel einen engen Blütenkelch treffen müssen. Ob sich ihre Flugtechnik zur technischen Nachahmung eignet, ist aber fraglich. Erst in Zeitlupenaufnahmen sieht man die ausgeklügelten Bewegungsabläufe, die zu den kompliziertesten Fortbewegungsarten im Tierreich gehören. Was die Forscher jedoch brennend interessiert, ist die extrem leichte, aber trotzdem stabile Bauweise zum Beispiel von Libellenflügeln. Sie könnten eine Vorlage für ultraleichte Tragflächen sein. In Sachen Fliegen hat die Natur als Vorbild noch lange nicht ausgedient – ganz im Gegenteil.
Ein Heißluftballon steigt hoch, weil warme Luft leichter ist als kalte. Dieser Effekt kommt bei einem Flugzeug nicht zum Tragen. Was also hält den Flieger in der Luft? Schon früh holte sich der Mensch die entscheidenden Impulse aus der Natur. Es musste irgendwas mit der Flügelform zu tun haben, warum Vögel so akrobatisch durch die Luft schwebten. Das jedenfalls ahnte vor rund 500 Jahren auch schon das Universalgenie Leonardo da Vinci. Aber es sollte noch weitere 400 Jahre dauern, ehe Otto Lilienthal den ersten bemannten Flugapparat baute und erfolgreich einen Hang hinuntersegelte.
Der Bernoulli-Effekt
Der Schweizer Physiker Daniel Bernoulli beschrieb im 18. Jahrhundert einen Effekt, der zur entscheidenden Grundlage für modernes Fliegen wurde: Strömende Flüssigkeiten und Gase üben einen geringeren Druck auf ihre Umgebung aus als ruhende. Je höher die Geschwindigkeit, desto kleiner der Druck. Ein einfacher Versuch, den jeder zu Hause ausprobieren kann, zeigt diesen Effekt: Hält man ein Blatt Papier an einer Seite jeweils an den Ecken fest, hängt das Blatt in einem Bogen herunter. Bläst man jedoch oben über den Papierstreifen, dann ist dort die Geschwindigkeit der Luft größer als unten, wo sich die Luft nicht bewegt. Dadurch wird der Druck an der oberen Seite herabgesetzt. Der höhere Druck an der Unterseite drückt nun das Blatt nach oben.
Das Zauberwort: Asymmetrie
Schaut man sich einen Flugzeugflügel im Profil an, sieht man, dass er einen asymmetrischen Querschnitt besitzt: Die Flügelunterseite ist fast gerade, während die Oberseite gewölbt ist. Der Luftstrom hat unten einen kürzeren Weg als oben, das heißt, oben strömt die Luft schneller. Nach Bernoulli heißt das nichts anderes, als dass der Druck oben geringer ist als unten – es entsteht also Auftrieb. Ein weiterer Faktor – und für manche Experten sogar der entscheidendere – ist der Auftrieb, der durch leichtes Anstellen der Flügel entsteht. Durch die leichte Schrägstellung drückt der Flügel die vorbeigleitende Luft nach unten, was eine entsprechende Gegenkraft erzeugt. Der so erzeugte Auftrieb lässt übrigens auch Drachen steigen. Und auch bei Kunstflugzeugen, deren Flügel ein symmetrisches Profil aufweisen, ist er von entscheidender Bedeutung. Hier wird der Auftrieb allein durch den Anstellwinkel erzeugt, was auch den Flug kopfüber ermöglicht.
Mindestgeschwindigkeit erforderlich
Jedes Flugzeug braucht, abhängig von Gewicht und tragender Fläche, eine bestimmte Mindestgeschwindigkeit. Beim Unterschreiten dieser Geschwindigkeit wird der Flügel nicht mehr glatt umflossen und die Strömung reißt ab. Das Flugzeug hat dann nicht mehr genügend Auftrieb und fällt wie ein Stein vom Himmel. Manchmal werden die Strömungsverhältnisse auch absichtlich verändert. Dies ist zum Beispiel während der Landung üblich, um die Landegeschwindigkeit zu verringern. Zum einen kann der Pilot durch das Ausfahren der Landeklappen praktisch die Wölbung des Flügels verstärken und bei machen Flugzeugtypen auch die Fläche des Flügels vergrößern. Jeder, der schon mal bei der Landung eines Düsenjets am Fenster gesessen hat, kennt das hydraulische Ausfahren der Flügelverlängerung. Beide Maßnahmen erhöhen den Auftrieb und ermöglichen dadurch das Absenken der Landegeschwindigkeit. Bei einem Jumbojet beträgt sie etwa 270 Kilometer pro Stunde. Ohne Hilfsmittel müsste der Riesenvogel mit fast 400 Kilometer pro Stunde aufsetzen.
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